Essen als Metapher in Filmen: „Zimt und Koriander“ – Erinnerung, Exil und die Sprache der Gewürze

Manche Geschichten entfalten sich wie ein langsames Gericht, das erst mit der Zeit sein volles Aroma preisgibt. „Zimt und Koriander“ (2003) von Tassos Boulmetis ist ein solcher Film. Ein Film, der von Kindheit, Exil und verlorenen Heimaten erzählt – und das nicht in nüchternen Worten, sondern in Geschmäckern, Gerüchen und Gewürzen.
Die Geschichte in Aromen erzählt
Fanis wächst in Istanbul auf, als Kind einer griechischen Familie. Die Welt seiner Kindheit riecht nach frisch gemahlenem Kardamom, nach Fenchelsamen, nach dem warmen, süßen Duft von Zimt. Sein Großvater, ein Philosoph des Geschmacks, erklärt ihm die Welt durch das, was in den Kochtöpfen brodelt. Essen ist keine bloße Notwendigkeit, sondern ein Ausdruck von Identität, Liebe und Spiritualität.
Doch dann reißt die Geschichte ihn heraus. Die politischen Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei eskalieren, die Familie wird gezwungen, Istanbul zu verlassen. Fanis findet sich in Athen wieder – einer Stadt, die fremd riecht, deren Speisen ihm nichts sagen.
Jahre später kehrt er zurück. Doch kann man je wirklich zurückkehren? Istanbul ist noch da, sein Großvater nicht mehr. Der Geschmack der Vergangenheit ist nicht rekonstruierbar.

Essen als Träger der Erinnerung
„Zimt und Koriander“ nutzt Essen nicht nur als Kulisse. Es ist eine Sprache, ein Medium. Die Aromen sind Erinnerungen in physischer Form, fassbar und doch flüchtig. Wer kennt es nicht? Ein bestimmter Geruch, eine zufällige Gewürzkombination – und plötzlich taucht ein längst vergessener Moment auf, klarer als jedes Foto.
Die Küche einer Kultur ist oft das Letzte, was sich verändert. Sprache kann verloren gehen, Traditionen verblassen – doch die Art zu kochen bleibt. Für Exilierte ist Essen nicht bloß Nahrung, sondern Heimat. Ein Rezept kann eine ganze Kindheit zurückholen. Oder eine Liebe.
Die Philosophie der Gewürze
Der Film lehrt uns, dass Essen mehr ist als Geschmack. Zimt ist nicht nur süß, sondern warm – er steht für Liebe, für Geborgenheit. Koriander hingegen hat zwei Seiten: Er kann bitter sein oder erfrischend, je nach Zubereitung. So wie das Leben.
Der Großvater sagt einmal zu Fanis: „Manche Menschen vergessen, dass das Essen nicht nur satt macht, sondern die Seele nährt.“ Das ist der Kern des Films.
Es geht nicht nur um eine Familiengeschichte, sondern um das, was Exil bedeutet. Was es heißt, entwurzelt zu werden. Fanis' Rückkehr nach Istanbul zeigt: Die Stadt ist noch da, aber die Zeit ist vergangen. Die Gewürze, die er als Kind kannte, existieren noch – aber sie schmecken nicht mehr gleich.
Warum dieser Film heute wichtig ist
In einer Zeit, in der Millionen Menschen ihre Heimat verlassen müssen, ist „Zimt und Koriander“ aktueller denn je. Essen als kulturelle DNA, als unsichtbare Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart – das ist kein sentimentales Motiv, sondern gelebte Realität für viele.
Essen ist ein Archiv der Weltgeschichte. Jede Zutat hat einen Weg hinter sich, jede Speise eine Geschichte. Und in einer Welt, die sich oft auf Unterschiede konzentriert, erinnert uns ein Film wie dieser daran, dass wir alle essen. Und dass ein gemeinsamer Geschmack manchmal mehr verbindet als tausend Worte.
Denn am Ende bleibt die Frage: Wenn wir alles verlieren – was bleibt? Vielleicht nur eine Erinnerung. Vielleicht nur ein Geschmack. Vielleicht nur der Duft von Zimt in der Luft.