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Boykott in Erdogans Absurdistan: Wie ein Boykott unter Erdogan sogar zur Staatskrise wird

 Insan olmaya geldim - Boykott gegen Erdogan und Regierungsnahe Gastronomie in der Türkei

02. April 2025 – Der Boykott-Tag gegen Erdogan und regierungsnahe Gastronomie in der Türkei

Es gibt politische Krisen, die drehen sich um große Wirtschaftsabkommen, diplomatische Verstrickungen oder weitreichende Gesetzesreformen. Und dann gibt es Krisen, die beginnen an einem Kaffeetisch. Die Türkei erlebt gerade Letzteres. Was als Boykottaufruf gegen regierungsnahe Unternehmen begann, ist inzwischen zu einem bizarren Schauspiel geworden, in dem sich Männer mit akkuraten Vollbärten vor Cafés postieren, um gegen den Boykott zu boykottieren. Willkommen in einer der skurrilsten Episoden der aktuellen türkischen Politik.

Latte Macchiato vs. Propaganda

Alles begann mit einem simplen Gedanken: Warum sollte man sein Geld ausgerechnet in Läden lassen, die offen regierungsnah sind und ein System unterstützen, das Kritiker verfolgt? Ein Boykottaufruf war geboren, angeführt von der Opposition um Özgür Özel, der dazu aufrief, Unternehmen wie EspressoLab, D&R, İdefix, Kilim Möbel, Ülker, Turkish Petroleum, Milangaz, Likitgaz, TRT, TGRT, İhlas Home Appliances, Milli Piyango, Misli.com, iddaa.com und ETS Reisen zu meiden.

Und dann passierte, was immer passiert, wenn etwas wirklich wehtut: Die AKP-Anhänger gerieten in Panik. Während man jahrelang selbst Boykotte gegen ausländische Marken predigte, war die Vorstellung, plötzlich selbst Ziel eines Boykotts zu sein, offenbar unerträglich. Also riefen regierungsnahe Stimmen zum Gegenschlag auf.

Das Ergebnis: Ein seltsames, fast schon theatralisches Straßenbild. Männer, oft in Anzügen mit dieser typischen „Erdoğan-Aura“, vollbärtig und staatsmännisch, posierten demonstrativ vor EspressoLab-Filialen und nippten trotzig an ihrem Cappuccino, während sie auf Social Media ihre Einkaufstüten aus den boykottierten Läden in die Kamera hielten. Der Boykott sollte ins Leere laufen, so die Hoffnung. Doch die moderne, urbane Jugend der Türkei nahm das Spektakel erst recht als Ansporn, um den Boykott weiterzutragen.

Die Kaffeehaus-Republik in Aufruhr

Die Spaltung ist offensichtlich. Während regierungstreue Cafés nun von loyalen AKP-Anhängern als politische Kampfzone genutzt werden, zeigt sich die andere Seite der Gesellschaft ganz anders: Locker, modern, international. Während in regierungsfreundlichen Etablissements die Herren mit gezwirbeltem Bart und besorgter Miene über die „Schande des Boykotts“ diskutieren, tummelt sich in anderen Stadtvierteln eine ganz andere Kundschaft: Junge Leute, die mit ihren MacBooks in hippen Cafés sitzen, Latte Art bestaunen und den ganzen Trubel auf Twitter mit einem Augenzwinkern kommentieren.

Die Reise nach Europa: Die Seidenstraße und die Entdeckung durch die Welt

Abbildung: Wenn EspressoLab - Website aus Angst vor Boykotten den Zugang zur eigenen Website blockiert, zeigt sich, wie Zensur und Kontrolle selbst den Kaffeeverkauf erreichen. Ein Zeichen für den Mangel an Weitblick und eine falsche Reaktion auf politische Spannungen.

Der Boykott funktioniert, und das auf eine Weise, die sich niemand hätte träumen lassen: Nicht nur, weil das Geld in andere Taschen fließt, sondern weil die gesamte Symbolik der Straßenszene die politische Stimmung widerspiegelt. Die Frage ist nicht mehr, ob man zu EspressoLab geht oder nicht – es ist die Entscheidung zwischen zwei Welten: Die eine Seite repräsentiert eine autoritäre Regierung, die nach wie vor mit Drohungen und absurden Gesetzen ihre Macht zementieren will. Die andere Seite steht für eine moderne, liberale, urbane Türkei, die sich auf leise, aber wirkungsvolle Weise wehrt.

Und das Erstaunlichste: Trotz der harten Repression, trotz der Massenverhaftungen von Journalisten, Aktivisten und Oppositionellen haben die Menschen keine Angst mehr. Im Gegenteil, die Proteste nehmen zu, und das Mittel des Boykotts wird immer mächtiger. Es zeigt, dass man mit einer so simplen Maßnahme wie dem bewussten Meiden der richtigen Lokale eine Regierung ins Wanken bringen kann. Die Wut wächst, und sie manifestiert sich auf den Kassenbons.

Erdoğan: Gefangen in der eigenen Falle

Der eigentliche Grund für die Verzweiflung der Regierung liegt tiefer: Erdoğan kann nicht gehen. Nach über 20 Jahren an der Macht hat sich ein System von Korruption, Unterdrückung und persönlichen Machenschaften aufgebaut, das ihn nicht einfach so in den Ruhestand entlässt. Zu groß sind die Verbrechen, zu hoch die Angst vor Strafe. Und genau das macht ihn unberechenbar. Statt den Machtverlust demokratisch zu akzeptieren, droht er, das Land in einen Bürgerkrieg zu stürzen. Denn wenn ein Autokrat nicht mehr zurück kann, bleibt oft nur der düstere Ausgang, den auch andere Diktatoren wie Saddam Hussein oder Muammar al-Gaddafi erlebt haben.

Jede verzweifelte Handlung seiner Regierung – sei es die Unterdrückung der Opposition, das Verbot von Boykotten oder die inszenierten Kaffeetrinker mit Einkaufstüten – ist ein weiteres Indiz: Sein Ende ist nah. Und die Türkei spürt es.

Ein Zerfall, der sich nicht aufhalten lässt

2013 – Gezi-Park-Proteste: Der Anfang der Repression
Die Gezi-Proteste markieren den ersten großen Widerstand gegen Erdoğan. Als die Regierung mit Gewalt auf die Proteste reagiert, entsteht eine tiefe Kluft zwischen der Regierung und der Bevölkerung. Hunderte Verletzte, Tote und politische Verfolgung sind die Folge.

2016 – Putschversuch und politische Säuberung
Der gescheiterte Putschversuch wird zur Ausrede für eine massive Säuberung: Tausende Menschen werden entlassen oder verhaftet – darunter Soldaten, Journalisten, Lehrer. Die Demokratie wird zunehmend eingeschränkt, die Medienlandschaft verstummt unter Zensur.

2017 – Präsidialverfassung: Der Übergang zur Diktatur
Ein Referendum 2017 schafft die präsidiale Verfassung und gibt Erdoğan nahezu unbegrenzte Macht. Checks and balances fallen weg, und die politische Kontrolle wird fast vollständig auf den Präsidenten konzentriert.

2018 – Wirtschaftskrise: Die Lira bricht ein
Die türkische Lira erlebt dramatische Verluste. Die Wirtschaft leidet unter hoher Inflation und Arbeitslosigkeit, doch die Regierung reagiert mit Ignoranz, während sich das Vertrauen der Bevölkerung weiter verringert.

2019 – Verlust von Istanbul: Der erste große Schlag
Die Kommunalwahl in Istanbul endet mit einer Niederlage der AKP. Ekrem İmamoğlu von der oppositionellen CHP gewinnt. Es ist ein Zeichen der politischen Stärke der Opposition und ein weiteres Indiz für den Schwund an Unterstützung für die Regierung.

2020 – Repression und Kulturzensur
Die Regierung unterdrückt nicht nur politische Gegner, sondern auch die Kultur- und Musikszene. Sezen Aksu und andere Künstler werden zur Zielscheibe politischer Verfolgung. Boykotte gegen regierungsnahe Firmen wie EspressoLab werden von der Opposition zum Symbol des Widerstands.

2. April 2025 – Entlassung von Aybüke Pusat von TRT
Aybüke Pusat, Schauspielerin bei TRT, wird von der staatlichen Medienanstalt entlassen, nachdem sie öffentlich gegen die Regierung Stellung bezogen hat. Ihre Entlassung ist ein weiteres Beispiel für die zunehmende politische Kontrolle im Unterhaltungssektor und den Druck, den die Regierung auf Medien und Kultur ausübt.

2025 – Boykott und Widerstand der Jugend
Die Opposition ruft zu Boykotten gegen regierungsnahe Unternehmen auf. Junge Türken nutzen soziale Medien und öffentliche Aktionen, um gegen die Regierung zu protestieren. Die Jugend wird zunehmend zum Symbol des Widerstands, und die Angst vor einer politischen Veränderung wächst.

Der Zerfall der Erdoğan-Ära – Ein System am Ende
Die türkische Gesellschaft ist gespalten wie nie zuvor. Der Widerstand gegen Erdoğan wächst, die Regierung versucht mit allen Mitteln, ihre Macht zu bewahren. Doch die Repression und die ständige Einschränkung der Meinungsfreiheit und demokratischer Rechte führen zum allmählichen Zerfall des Systems. Die Jugend und die Opposition gewinnen zunehmend an Stärke, was das Ende der Ära Erdoğan beschleunigt.

Im Video: Erdoğan selbst hat über die Jahre immer wieder zu Boykotten aufgerufen – doch als die Opposition und die Bevölkerung ihm mit ähnlichen Mitteln begegnen, gerät das System ins Wanken. Ein klares Beispiel dafür, wie sich das Blatt wenden kann, wenn die Angst vor Widerstand größer wird als der Wille zur Kontrolle.

Der Wahnsinn von Marken und Blockaden

Und dann gibt es da noch die absurden Blockaden, die die Situation auf die Spitze treiben. Nehmen wir zum Beispiel EspressoLab. Das Unternehmen, das Teil der Boykottaufrufe wurde, hat auf seine eigene Weise auf die politische Krise reagiert – indem es die Website blockierte und somit seine Verbindung zur internationalen Kundenbasis isolierte. Eine ironische Wendung, wenn man bedenkt, dass es ein Unternehmen ist, das stark auf urbane, internationale Kundschaft angewiesen ist. Warum sollte man sich als Marke, die von breiter Kundenansprache lebt, selbst blockieren? Inmitten einer politischen Krise, in der jeder Blick auf die eigene Marke zählt, könnte dies als eine völlig falsche Reaktion gewertet werden. Statt sich auf Dialog und Verständnis zu konzentrieren, scheint man in Panik zu verfallen und will durch solche Blockaden jede kritische Aufmerksamkeit vermeiden. Ein Unternehmen, das in der globalen Geschäftswelt steht, sollte wissen, dass solche Maßnahmen keine nachhaltige Lösung bieten, sondern die Reputation weiter schädigen können.

Es ist ein fast schon tragisches Beispiel für Fehleinschätzungen eines Managements, das sich von politischen Erschütterungen bedroht fühlt und sich in dieser Bedrohung verliert. Wenn die Angst vor Kritik oder Boykotten so groß wird, dass man den Zugang zu seiner eigenen Marke blockiert, scheint das nicht nur ein Problem für die Marke selbst zu sein, sondern auch ein weiteres Symptom für eine Gesellschaft, in der Zensur und Kontrolle über alles herrschen – selbst über das einfache Geschäft des Kaffeeverkaufs.

Am Ende bleibt die Frage: Wie lange kann ein System bestehen, das auf Angst, Zensur und Isolation basiert? Wenn selbst Unternehmen in der Türkei mit solchen Mitteln auf politische Boykotte reagieren, könnte dies ein weiteres Zeichen dafür sein, dass der Widerstand wächst – und dass die Zeit für Veränderungen in der Türkei tatsächlich gekommen ist.