Gedanken zur Schließung des „Zum Starken August“ und dem leisen Sterben der Berliner Nächte
Ehrlich gesagt, ich habe ein bisschen gezögert, diesen Text zu schreiben. Nicht, weil mir nichts einfällt. Sondern weil sich das hier anstellt wie ein Nachruf. Und Nachrufe schreibt man nicht gern. Schon gar nicht auf Orte, die mehr waren als Bars, mehr als Veranstaltungsräume, mehr als ein Name auf einem Leuchtschild. Der „Zum Starken August“ in Prenzlauer Berg war genau so ein Ort. Jetzt ist er zu. Und irgendwie fühlt sich das falsch an.
Ich erinnere mich noch an meinen ersten Abend dort. Es war ein verregneter Mittwoch, ich hatte nichts vor und ein Freund sagte: „Da läuft heute 'ne Burlesque-Nummer. Komm mit.“ Ich wusste nicht mal, was Burlesque genau ist. Danach wusste ich es. Ich wusste aber vor allem: Berlin lebt. Nicht in Clubs mit zehn Euro Eintritt und Dresscode, sondern in solchen Ecken, wo Leute in Fracks und Federboas auftreten, und das Publikum sie anfeuert wie Rockstars. Wo nichts perfekt ist, aber alles echt.
Jetzt ist Schluss. Der letzte Vorhang ist gefallen. Und mit ihm ein Stück dieser Stadt.
Was genau passiert ist, lässt sich im Internet nachlesen. Beschwerden von Anwohner:innen, Missverständnisse, rechtlicher Druck. Der übliche Cocktail, wenn Freiraum auf Immobilienlogik trifft. Doch hinter all dem steckt etwas Tieferes. Eine Art langsames Verblassen dessen, was Berlin mal war – oder zumindest sein wollte. Eine Stadt für alle. Für die Lauten, die Leisen, die Schillernden. Für die, die woanders keinen Platz fanden.
Das Schließen des „Zum Starken August“ ist kein Einzelfall. Wer in den letzten Jahren aufmerksam durch Berlin geht, sieht, was fehlt. Da war dieser Jazzkeller in Neukölln, der irgendwann einfach nicht mehr da war. Die kleine Galerie in Moabit, in der ich mal bei einer Lesung mit zwanzig Leuten saß und am Ende alle zusammen Bier trinken gingen. Oder das kleine Kino mit nur zwei Sälen, das irgendwann „wegen Renovierung“ schloss und nie wieder aufmachte.
Was zurückbleibt, sind Coworking-Spaces, Franchise-Cafés und sterile Neubauten mit Glasfront. Berlin wird erwachsen, sagen manche. Ich glaube eher, es verliert sein Gesicht.

Es ist nicht nur Nostalgie, die aus mir spricht. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich den "Starken August" mit einer Wärme im Bauch betrachte, die man für Orte hat, in denen man sich ein kleines bisschen zuhause fühlte. Es geht um mehr. Um die Frage: Wem gehört diese Stadt eigentlich noch? Und: Wer darf hier laut sein?
Dass Kultur räumlich stattfindet, wird oft vergessen. Für eine Performance braucht es eine Bühne. Für eine Community braucht es einen Raum. Für Begegnung braucht es Orte, an denen man sich begegnen kann. Und genau diese Orte verschwinden. Nicht immer dramatisch. Meistens still. Leise. Wie ein Vorhang, der sich einfach schließt.
Eine Performerin mit goldenen Handschuhen, die auf einer nassen Straße steht. Kein Licht. Kein Applaus. Nur Kiezruhe und das Summen der Straßenbahn.
Ich glaube, wir müssen aufhören, so zu tun, als könnten wir alles "kompensieren". Kulturelle Vielfalt lässt sich nicht über Crowdfunding retten oder in Instagram-Posts archivieren. Sie braucht Raum. Sie braucht Schutz. Und sie braucht Respekt.
Wenn wir nicht aufpassen, wachen wir auf in einer Stadt, in der es zwar fünf Sorten Hafermilch gibt – aber keinen Platz mehr für einen goldenen Minihut mit Schleier.
Und das wäre dann wirklich traurig.
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