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Ein Blick auf die Küchen der Städte: Was Hamburg über kulinarische Vielfalt zeigt

Rassismus ist eine Pandemie, die besonders in Ost-Deutschland wütet

In Görlitz, an einem Februarnachmittag, stapeln sich Schneereste an den Straßenecken, die Gehwege sind glatt gefroren, und die wenigen geöffneten Cafés wirken wie kleine Inseln in einem Meer aus Leere. Die Schaufenster der Imbisse sind sauber, aber leer, und das Angebot ist überschaubar: Currywurst, Pommes, Döner vom Tiefkühlregal. Neue Ideen stoßen hier schnell an Grenzen. Amina, die mit ihrer Familie aus Aleppo nach Deutschland kam, erzählt von den ersten Wochen ihres kleinen Restaurants: „Die Scheibe wurde eingeschlagen, Gäste blieben aus. Es war nicht nur das Essen, es war alles zusammen. Die Leute wollten einfach nichts Neues ausprobieren.“

Wer heute durch Städte wie Görlitz, Bautzen oder Zwickau geht, sieht die leeren Straßen, wenige internationale Cafés, wenig kulinarische Vielfalt – und fragt sich, wie das möglich ist. Schließlich hatte diese Region einst einen intellektuellen Ruf: Briefmarken mit Victor Hugo, Bibliotheken, Theater, Bildung wurde großgeschrieben, Literatur und Philosophie waren Teil des Alltags. Wie kann ein Land, das so viele belesene Autorinnen und Denker hervorbrachte, heute in Teilen so rückständig wirken? Der rasante Wandel nach der Wende, der Zusammenbruch vieler Strukturen, die ökonomische Unsicherheit und die Übernahme westlicher Marktsysteme haben ihre Spuren hinterlassen. Bildungspolitische Defizite, Abwanderung junger Menschen und das Gefühl von Machtlosigkeit gegenüber dem System haben offenbar Lücken hinterlassen, die Radikale und einfache Erklärungen nutzen. Es ist nicht allein ein Problem der Menschen, sondern auch eine Folge von Jahrzehnten politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Transformation, die vielen das Gefühl gaben, nicht mitzuhalten.

Die Gründe dafür sind tief in der Geschichte verankert. In der DDR gab es kaum internationale Einflüsse in der Gastronomie, die Gesellschaft war homogen, Kontakte zu „Fremden“ waren begrenzt. Verträge mit vietnamesischen oder angolanischen Arbeitskräften führten kaum zu Begegnung. Nach der Wende kamen wirtschaftliche Umbrüche, soziale Unsicherheit und Abwanderung junger Menschen. Städte wie Görlitz, Hoyerswerda oder Zwickau blieben strukturschwach, und das Misstrauen gegenüber Neuem und Fremden überdauerte. Wer hier kochen oder etwas Neues ausprobieren wollte, musste gegen starre Gewohnheiten und Vorurteile ankämpfen.

In Hamburg, nur ein paar hundert Kilometer entfernt, sieht die Welt anders aus. In St. Georg, zwischen arabischen Gemüseläden und vietnamesischen Bäckereien, dringen die Gerüche von frischem Fladenbrot, gerösteten Kichererbsen und dampfender Phở durch die Straßen. An jedem zweiten Stand wird gelacht, geredet, die Sprache wechselt von Deutsch zu Englisch, Arabisch, Türkisch oder Vietnamesisch. Studierende, Hafenarbeiter und Familien sitzen an denselben Tischen, probieren, diskutieren und feiern gemeinsam. Die Vielfalt ist hier Alltag und Geschäftsmodell zugleich. Wer neu eröffnet, wird neugierig empfangen und hat Chancen, seine Nische zu finden.

Wenn neue Ideen kaum Chancen haben

Der Kontrast zwischen Ostdeutschland und Hamburg zeigt sich nicht nur kulinarisch, sondern auch gesellschaftlich. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg sind rechte Parteien stark, und die ablehnende Haltung gegenüber Migration und Diversität wird teilweise gesellschaftlich normalisiert. Essen wird hier schnell zum Symbol der Spaltung: Wer anders kocht, anders aussieht oder anders spricht, wird oft misstrauisch beäugt, wenn nicht sogar offen abgelehnt. In Zwickau beispielsweise versuchte ein indisches Restaurant Fuß zu fassen, musste aber nach wenigen Monaten wieder schließen. Der Besitzer erinnert sich: „Die Leute sind einfach nicht gekommen, egal wie gut das Essen war.“

Die kulinarische Landschaft in vielen ostdeutschen Städten bleibt daher homogen. Internationale Lebensmittel sind in Supermärkten selten, Restaurants kaum multikulturell, neue Impulse stoßen auf Widerstand. Trotzdem zeigen kleine Projekte, dass Veränderung möglich ist. In Leipzig eröffnen syrische Familien kleine Cafés, in Jena organisieren Studierende regelmäßig interkulturelle Koch-Events, und in Magdeburg entstehen Pop-up-Küchen, betrieben von Geflüchteten, die ihre Kultur über das Essen präsentieren. Jede dieser Initiativen zeigt, dass kulinarische Vielfalt ein leiser, aber wirksamer Weg ist, Vorurteile zu hinterfragen und Begegnungen zu schaffen. Menschen berichten von den ersten Begegnungen, die oft positiv überraschen. Ein junger Koch aus Syrien erzählt, dass eine ältere Kundin zunächst skeptisch war, sein Menü zu probieren. Am Ende kam sie zurück, brachte Freund*innen mit, und die Tische waren am dritten Abend voll. Solche kleinen Erfolge zeigen, dass Begegnung über Essen funktioniert, wenn Mut, Geduld und Kreativität vorhanden sind.

Die wirtschaftlichen Folgen der eingeschränkten Vielfalt sind ebenfalls spürbar. Regionen, die kulinarisch geschlossen bleiben, verlieren nicht nur kulturell, sondern auch wirtschaftlich. Fachkräfte, die Vielfalt und Kreativität suchen, wandern ab, neue Ideen bleiben aus, der Gastronomiemarkt stagniert. Leerstand und Fachkräftemangel werden zur Regel, Abwanderung junger Menschen ist die Folge. Gleichzeitig profitiert Hamburg von seiner internationalen Küche nicht nur kulturell, sondern auch wirtschaftlich: Food-Markets, Pop-up-Konzepte und Fusion-Restaurants ziehen Kund*innen und kreative Köpfe gleichermaßen an.

Hamburg als kulinarisches Modell

In Hamburg sind Migration und Vielfalt Normalität. Street-Food-Festivals, Food-Markets und Pop-up-Restaurants zeigen, wie Integration praktisch aussehen kann. Köchinnen und Köche aus aller Welt treffen auf ein Publikum, das neugierig ist, probiert und nachfragt. In Wilhelmsburg erzählt ein vietnamesischer Bäcker, dass seine Kundschaft aus allen Stadtteilen kommt, darunter viele Deutsche, aber auch Menschen aus Syrien, Polen oder Somalia. „Es geht nicht nur ums Essen, es geht ums Zusammenkommen“, sagt er. „Man lernt einander kennen, wenn man zusammen isst.“ Auch für Hamburger Jugendliche ist multikulturelles Essen Alltag. Schulklassen besuchen Food-Markets, probieren Gerichte aus aller Welt und diskutieren über Zutaten, Zubereitung und Herkunft.

In Ostdeutschland dagegen bleibt der Zugang zu internationalem Essen und die Akzeptanz neuer Konzepte oft eingeschränkt. In Städten wie Bautzen, Zwickau oder Hoyerswerda ist das gastronomische Angebot überschaubar, Innovationen haben wenig Chance, sich durchzusetzen, und die Kundschaft ist skeptisch. Gleichzeitig gibt es Mutige, die diese Grenzen überschreiten. Sie betreiben kleine Cafés, organisieren Koch-Events oder Pop-up-Küchen, um Begegnungen zu schaffen. Jeder Teller wird so zu einem kleinen Zeichen gegen Vorurteile und Rassismus.

Die Unterschiede zeigen sich nicht nur auf den Tellern, sondern auch in der Gesellschaft. Während Hamburg auf Vielfalt setzt, bleibt Ostdeutschland in vielen Regionen homogen. Politische Einstellungen, fehlende Offenheit und strukturelle Hemmnisse führen dazu, dass neue Ideen nur langsam Fuß fassen. Der gastronomische Stillstand spiegelt den gesellschaftlichen Stillstand wider, und umgekehrt. Wer die Gesellschaft öffnen will, muss auch die Küche öffnen.

Essen spiegelt die Gesellschaft. Es zeigt, wie offen Menschen sind. In Regionen ohne kulinarische Vielfalt bleiben auch Köpfe verschlossen. Chancen und Perspektiven fehlen. In Städten mit Vielfalt wächst nicht nur der Geschmack, sondern die Gesellschaft selbst. Wer zusammen kocht und isst, baut Vorurteile ab.

Der wahre Hunger ist nicht nach Brot, sondern nach Offenheit und Mut. Wer Türen öffnet, Teller füllt und Menschen zusammenbringt, verändert etwas. Vielfalt ist die Basis für ein lebendiges, gerechtes Zusammenleben.