Warum Kurden ihre Küche als türkisch verkaufen
Die kurdische Küche gehört zu den größten kulinarischen Traditionen, die gleichzeitig kaum sichtbar ist. Millionen Menschen essen täglich Gerichte, die kurdisch geprägt sind – in Diyarbakır, Erbil, Mahabad, Qamishli oder Berlin-Neukölln – und dennoch prangt auf fast jedem Schild „türkisch“. Das ist kein Zufall. Politische Restriktionen, ökonomische Kalkulationen und kulturelle Strategien haben dazu geführt, dass kurdische Küche häufig unter fremdem Label auftritt. Die Frage lautet: Warum gibt der Kurde sich als Türke aus? Und was sagt das über Identität, Migration und Marktmechanismen aus?
Kurden leben in einem Gebiet, das sich über die Türkei, den Irak, den Iran und Syrien erstreckt. Ihre Küche ist reich, bodenständig und abwechslungsreich: dicke Brote, gefülltes Gemüse, Reisgerichte, würzige Kebabs, Joghurt und Hülsenfrüchte bestimmen den Alltag. Dennoch blieb sie jahrzehntelang unsichtbar. In der Türkei war Kurdisch lange verboten; Restaurants, Medien oder kulturelle Symbole mussten unter dem Deckmantel der türkischen Mehrheitskultur auftreten. In Syrien und im Irak galt das Ähnliche: Sichtbarkeit konnte gefährlich werden. Migration nach Europa verstärkte diesen Effekt. Wer in den 70ern und 80ern ein Restaurant eröffnete, wählte „türkisch“, weil das Vertrauen der Kundschaft gesichert war. „Kurdisch“ bedeutete Erklärungsbedarf – zu viel Aufwand in einem hart umkämpften Markt. So wurde die kurdische Küche nicht ausgelöscht, sondern verpackt, überlagert, maskiert.
Historische Wurzeln und kulinarische Eigenständigkeit
Trotz der Überlagerung unterscheidet sich kurdisches Essen deutlich von dem, was die Mehrheitsgesellschaft als türkisch kennt. Eintöpfe aus Linsen, Kichererbsen oder Bohnen sind nahrhaft, groß gedacht und auf gemeinsames Essen ausgelegt – nicht auf Einzelportionen. Dolma wird mit kräftiger Säure gewürzt; Kebabs weniger mariniert, dafür mit Kräutern und Sumach. Nanê, das traditionelle Brot, ist dicker und aromatischer als türkisches Fladenbrot. Jede Zutat erzählt von den harten Lebensbedingungen in den Bergen und von einer Kultur, die auf Gemeinschaft baut.
Beispiele aus der Praxis verdeutlichen die aktuelle Situation: Eine Google-Suche nach „kurdische Küche Hamburg“ liefert kaum Treffer – oft nur ein einziges Restaurant wie das Bona Me. Dieses Lokal hat einen ersten Funken Aufmerksamkeit erzeugt und zeigt, dass Sichtbarkeit möglich ist, doch die meisten Kurden nutzen lieber die sichere türkische Marke, sparen sich den Aufbau eigener Marken oder scheuen die Aufmerksamkeit, die mit „kurdisch“ einhergeht. Ob Faulheit, Zeitersparnis oder bewusste Strategie – faktisch bleiben sie so oft unsichtbar. Dass das Bona Me diesen Weg gegangen ist, beweist, dass es sich lohnt, den Schritt zu wagen. Gleichzeitig zeigt es die Lücke: In vielen Städten fehlt die Präsenz kurdischer Küche, und ihre Kultur wird nur indirekt über türkische Labels vermittelt.
Auch in anderen Städten wie Berlin, Köln oder Wien zeigt sich dieses Muster: Türkische Schilder dominieren, selbst wenn kurdische Besitzer die Gerichte prägen. Das verdeutlicht das Spannungsfeld zwischen ökonomischer Vernunft, politischem Hintergrund und kulinarischer Identität: Die Küche lebt weiter, trägt aber einen fremden Namen.
Döner und das Maskenspiel der Identität
Ein besonders anschauliches Beispiel ist der Döner. International gilt er als türkischer Klassiker, dabei hatten viele der ersten Dönerläden in Deutschland kurdische Besitzer, die ihre Familientradition nach Europa brachten. Die Rezepte stammen aus Anatolien, geprägt von kurdischen Zutaten und Gewürzen. Doch statt den Ursprung zu markieren, entschieden sich die Betreiber bewusst für das Label „türkisch“. Das brachte Kundschaft, Bekanntheit und ökonomische Sicherheit. Die Wahrheit auf dem Teller ist also oft eine andere als die auf dem Schild.
Bestes türkisches Catering
Die Strategie hat historische und ökonomische Gründe. In den 70er- und 80er-Jahren war es einfacher, türkisch zu verkaufen. Kundschaft kannte „türkisch“ aus dem Urlaub, aus der Nachbarschaft oder aus Medienbildern. „Kurdisch“ musste erst erklärt werden, und das bedeutete Aufwand – sowohl in Marketing als auch im täglichen Betrieb. Dazu kamen politische Ängste: Sichtbare kurdische Identität konnte Aufmerksamkeit erzeugen, die manche Betreiber lieber vermeiden wollten.
Anpassung, Markt und Diaspora
In den letzten Jahren hat sich ein Teil der kurdischen Gastronomie aus der Deckung gewagt. Restaurants wie „Kurdish Kitchen“ in Berlin oder kleinere Läden in Stockholm nutzen bewusst das kurdische Label. Food-Blogger posten Rezepte der Großmütter, erklären Zutaten, Herkunft und Tradition. Doch die Masse der Betreiber bleibt vorsichtig. Viele Kurden in der Diaspora wählen nach wie vor die sichere Variante: türkisch als Marke, kurdisch nur im inneren Familienkreis. Gründe sind pragmatisch: Markenaufbau ist teuer, Social-Media-Promotion aufwendig, und Kunden müssen überzeugt werden. Zeitersparnis, Ressourcenmangel oder schlicht der Wunsch nach unkomplizierter Einnahme spielen dabei eine Rolle.
Dieses Verhalten wirkt paradox: Die kurdische Küche prägt die Wahrnehmung türkischer Gastronomie in Deutschland und Europa maßgeblich, bleibt aber weitgehend unsichtbar. Sie ist omnipräsent, ohne dass ihr Name fällt. Gleichzeitig entstehen langsam Nischen, die zeigen: Wer sich traut, kann seine Herkunft offen präsentieren – und Kunden reagieren positiv.
Moderne Chancen: Sichtbarkeit durch Trends
Trotz allem gibt es Hoffnung. Moderne Ernährungstrends passen hervorragend zu den Traditionen der kurdischen Küche. Gemüse und Hülsenfrüchte, gemeinschaftlich gereichte Eintöpfe und kräftige Brote sind heute im Trend. Die Sharing Culture, die seit Jahrhunderten in Kurdistan gelebt wird, entspricht dem heutigen „Family Style“ in Restaurants und Foodblogs. Authentische, handfeste Gerichte, die sich bewusst vom hochgestylten Fine Dining abheben, finden zunehmend ihre Liebhaber.
Internationale Medien beginnen ebenfalls, kurdische Küche wahrzunehmen. Food-Dokumentationen zeigen Märkte in Erbil, Erlebnistourismus setzt auf traditionelle Gerichte, Instagram-Accounts bringen kurdische Rezepte an ein breites Publikum. Noch handelt es sich um Nischenmärkte, aber der Trend wächst. Der kulinarische Wert der Küche ist unbestritten – jetzt geht es darum, die Marke sichtbar zu machen.
Warum gibt sich der Kurde also als Türke aus? Weil die Welt es ihm leichter macht. „Türkisch“ auf der Speisekarte verkauft besser, bietet ökonomische Sicherheit und vermeidet komplizierte politische Aufmerksamkeit. „Kurdisch“ dagegen erfordert Erklärungen, Aufmerksamkeit und Engagement. Unsichtbar heißt jedoch nicht bedeutungslos. Wer genau hinschmeckt, merkt: Die Kurden sind überall, nur der Name fehlt.
Kurdische Locations entdecken
Für alle, die die kurdische Küche bewusst erleben möchten, lohnt sich ein Blick über das vertraute „türkisch“-Label hinaus. Restaurants wie das Bona Me in Hamburg ("Bona me" ist Kurdisch und bedeutet übersetzt "unser Haus") zeigen, dass kurdische Gastronomie erfolgreich sichtbar sein kann. Wer jetzt Appetit auf kurdisches Essen bekommen hat, der folgt diesem Link - fiyaka.net
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