Marke statt Mangal – türkische Gastronomie in der Profil-Krise
Türkische Gastronomie in Deutschland: Warum es mit starken Marken so schwerfällt
Ein Spaziergang durch die Gastronomielandschaft in Istanbul oder Izmir hinterlässt einen ganz anderen Eindruck als ein Besuch in Städten wie Mannheim, Kassel oder Paderborn. In türkischen Metropolen prägen Lokale mit klarer gestalterischer Handschrift, digitaler Präsenz und bewusster Markenbotschaft das Stadtbild. Hierzulande dominieren funktionale, generische Namen, nüchterne Räume und wenig Wiedererkennung. Der Kontrast ist augenfällig – zumindest auf den ersten Blick.
Das Phänomen der „Köz“- und „Mangal“-Lokale
Besonders auffällig ist die Vielzahl an Köz- und Mangal-Lokalen in deutschen Städten: Köz Urfa, Mangal Haus, Köz Palast, Grill Mangal, Köz Antep und so weiter. Die Begriffe „Köz“ (Glut) und „Mangal“ (Grill) sind kraftvolle Bilder, die Identität schaffen könnten. Stattdessen herrscht Austauschbarkeit: fast alle Lokale verwenden rot leuchtende Schriftzüge, generische Logos und stereotype Typografien. Man könnte meinen, es handele sich um eine Franchise-Kette mit durchdachter Corporate Identity. Doch das Gegenteil ist der Fall.
Die Häufung dieser Namen verrät weniger ein gemeinsames Konzept als eine verbreitete Konzeptlosigkeit. Selbst Lokale ohne Grill im Angebot werben mit „Mangal“ – nicht aus Überzeugung, sondern aus Gewohnheit. Kreativität und klare Vision fehlen. Statt eigene Profile zu entwickeln, wird kopiert, was schon oft schlecht gemacht wurde.
Hinter dieser Einheitlichkeit steckt meist ein einziger regionaler Werbetechniker, der ohne gestalterische Ausbildung hunderte Leuchtreklamen liefert – kein Branding, keine Strategie, sondern serielle Gestaltung auf Zuruf. Dass kaum jemand die inflationäre Verwendung von „Köz“ oder „Mangal“ hinterfragt, obwohl es dutzende Lokale mit gleichen Namen gibt, zeigt das eigentliche Problem: fehlendes Markenbewusstsein und der Mangel an Differenzierungswillen.
Unverkennbare Austauschbarkeit statt starker Marken
Der Eindruck ist austauschbar, beliebig und altbacken – genau das Gegenteil von dem, was eine starke Marke ausmacht.
Die Ursachen liegen tief: unterschiedliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen, kulturelle Selbstverständnisse und historische Entwicklungen prägen das Bild.
Gastronomie als urbane Lebenskunst versus Überlebensmodell
In der Türkei ist Gastronomie längst Ausdruck urbaner Lebenskunst. Restaurants sind mehr als Orte der Sättigung – sie sind Bühnen für Selbstdarstellung, sozialen Austausch und gesellschaftlichen Rhythmus. Räume werden bewusst gestaltet, nicht zur Show, sondern als Teil einer kulturellen Sprache. Hier arbeiten moderne Gastro-Profis mit klarer Handschrift und professioneller Markenführung.
In Deutschland verlief die Entwicklung anders. Die ersten türkischstämmigen Gastrobetriebe entstanden aus pragmatischem Bedürfnis: Arbeit, Einkommen, Sicherheit. Visuelle Identität spielte kaum eine Rolle, das Essen stand im Vordergrund – als verlässliches Angebot, nicht als Erlebnis oder Inszenierung.
Markenbildung: Fehlendes Bewusstsein und erste Ansätze
Die frühen Imbisse waren keine kulturellen Botschafter, sondern Überlebensmodelle. Die Gründergeneration kam nicht aus dem Wunsch nach Innovation, sondern aus Notwendigkeit. Design und Markenbildung waren sekundär.
Bestes türkisches Catering
In der Türkei entwickelte sich unterdessen eine dynamische Gastro-Szene mit eigener Handschrift, angetrieben von wirtschaftlicher Öffnung, einer aufstrebenden Mittelschicht und Rückkehrern mit internationalen Erfahrungen. Dort ist Markenidentität Teil des Geschäfts, keine Marketingfloskel.
Auch in Deutschland ändert sich das Bild. Jüngere Betreiber*innen, oft zwischen zwei Kulturen aufgewachsen, bringen neue Perspektiven mit. Sie hinterfragen alte Muster und entwickeln zeitgemäße Konzepte: anatolische Frühstückscafés mit urbanem Stil, moderne Meyhanes mit Lounge-Charakter oder Streetfood-Konzepte, die Instagram und Geschmack gleichermaßen berücksichtigen.
Doch nicht alle schaffen den Schritt zu echter Markenführung. Häufig fehlen Ausbildung, Erfahrung oder der Wille, Prozesse professionell zu gestalten. Einige expandieren zu schnell, ohne Standards zu sichern – was Hygieneprobleme, schlechtes Management oder finanzielle Schwierigkeiten nach sich zieht. Familiäres Kapital hält solche Betriebe oft künstlich am Leben.
Warum türkische Gastronomie in Deutschland hinterherhinkt
Markenbildung ist hier die Sprache, mit der Betriebe sich differenzieren und Kunden erreichen. Eine starke Marke entsteht nicht durch schnelle Likes oder Freunde, die am Eröffnungstag 5-Sterne-Bewertungen schreiben, sondern durch konsequente, authentische Umsetzung – vom Logo bis zum Service.
Beispiele echter Markenarbeit gibt es: Die Marke „TURK FATIH TUTAK“ in der Türkei steht für gehobene, moderne türkische Küche mit internationaler Ausstrahlung. Klare Gestaltung, hochwertige Kommunikation und stimmiges Gesamterlebnis prägen das Konzept. In Deutschland sind solche Vorbilder rar, erste Ansätze zeigen jedoch, dass es möglich ist.
Dem gegenüber stehen viele Lokale ohne professionelle Corporate Identity. Veraltete, oft einsprachige Webseiten, die häufig nur auf Englisch verfügbar sind, zeigen mangelnde Wertschätzung für die eigene Herkunft. Der Vergleich mit großen deutschen Marken wie McDonald’s oder Burger King macht deutlich, wie wichtig durchdachtes Design, Wiedererkennbarkeit und professionelles Marketing für den Erfolg sind.
Gefahren falscher Markenführung
Warum gelingt es türkischen Gastronomien in Deutschland selten, eigenständige Marken zu etablieren? Ein Grund ist die Haltung: Markenbildung wird oft als überflüssiger Luxus oder auf Social-Media-Hype reduziert. Dabei ist sie ein strategischer Prozess, der Identität greifbar macht und Vertrauen aufbaut.
Manche setzen auf kurzfristige Effekte: viele Bekannte, viele Sterne, viel Fassade. Solche Inszenierungen schaffen keine Bindung, sondern beschädigen die Glaubwürdigkeit, wenn das Erlebnis nicht stimmt. Anfängliche Lobeshymnen weichen ernüchternden Rückmeldungen: Qualität sinkt, Bestellungen werden schlampig aufgenommen, Gerichte wirken hastig zusammengestellt. Oft fehlt nicht nur die Soße, sondern das gesamte Konzept. Kritik wird ignoriert oder abgetan.
Was bleibt, ist der Eindruck eines zufälligen Betriebs mit vertrauter Stammkundschaft – nicht der eines Ortes, an den man gern zurückkehrt. Wirkliche Markenführung braucht Haltung, Geduld und ein Verständnis dafür, dass Vertrauen nicht inszeniert, sondern verdient wird.
Neue Wege für die türkische Gastronomie
Der Gast erwartet mehr als nur gutes Essen: Atmosphäre, exzellenten Service und ein Erlebnis, das im Gedächtnis bleibt. Ganzheitliche Konzepte, die von der Website über die Inneneinrichtung bis zum Auftreten des Personals durchdacht sind, werden zur Voraussetzung für nachhaltigen Erfolg.
Während dieses Bewusstsein in der Türkei längst fest verankert ist, entwickelt es sich hierzulande langsam. Gastronom*innen, die diesen Weg konsequent gehen, verbinden Tradition und Innovation sinnvoll. Der klassische Döner-Imbiss bleibt wichtig, doch immer mehr moderne Konzepte definieren türkische Küche zeitgemäß und stilvoll neu.
Markenbildung ist keine Illusion, sondern eine echte Herausforderung. Mangelnde Ausbildung, fehlende Selbstachtung und eine „Gastarbeiter-Mentalität“ – die Einstellung, dass das Geld ohnehin kommt und Veränderungen unnötig sind – stehen häufig im Weg. Wer digitale Sichtbarkeit und professionelle Markenführung unterschätzt, verpasst die Chance, eine authentische Identität zu schaffen, die Gästen Geist und Geschichte vermittelt.
Die zentrale Frage lautet: Wann hört die Branche auf, sich hinter dem „billig und funktional“ zu verstecken, und beginnt, ihre Geschichten klar und überzeugend zu erzählen? Gerade im digitalen Zeitalter entscheidet Markenbildung über Erfolg oder Misserfolg.
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