TikTok. Insta. Tot. - Curiosity is already dead.

Plattformen leben von Neugier. Von Entdeckungslust, Überraschung, Reibung. Ohne sie bleiben nur Routine, Wiederholung, Oberfläche. TikTok und Instagram befinden sich genau dort. Im Modus der Dauerschleife. In einer Welt, die visuell überproduziert und inhaltlich verarmt.
Die Mechanismen dieser Plattformen basieren auf maximaler Verweildauer. Je länger ein Nutzer bleibt, desto erfolgreicher ist das Modell. Es geht nicht um Inhalte, sondern um Mustererkennung. Was Nutzer länger bindet, wird bevorzugt. Was auffällt, wird wiederholt. Was sich bewährt, wird kopiert. Der Algorithmus belohnt Vertrautheit – nicht Innovation.
Das hat Konsequenzen. Kreative Formate verschwinden. Experimente werden unterdrückt. Content wird gleichförmig. Ein Sound, eine Schriftart, ein Format, ein Schnittstil – millionenfach reproduziert. Wer heute durch TikTok oder Reels scrollt, erlebt keine Vielfalt. Er sieht Variationen des Immergleichen. Es gibt keine echten Überraschungen mehr. Die Neugier, die diese Plattformen einst groß gemacht hat, ist verschwunden.
Beispiele finden sich überall. Der Hype um „StudiVZ“ in den frühen 2000er Jahren, die Plattform war der Vorgänger von Facebook in Deutschland und galt lange Zeit als DER Ort für junge Leute, um sich zu vernetzen. Doch als Facebook und später Instagram kamen, war das Interesse an StudiVZ schnell erloschen. Ein weiteres Beispiel ist MySpace, das in den frühen 2000er Jahren als beliebte Plattform für Musiker und ihre Fans begann. MySpace war einst der größte Social-Media-Anbieter weltweit, doch das Versäumnis, sich weiterzuentwickeln, führte zu seinem Untergang.
Genauso verhält es sich mit TikTok und Instagram. Diese Plattformen haben ihren Zenit erreicht. Der Hype, der sie groß gemacht hat, hat viele in seinen Bann gezogen, doch mit zunehmender Übersättigung und der Monotonie der Inhalte beginnt die Neugier zu schwinden. Heute gibt es weniger echte Überraschungen, und der Drang, etwas Neues zu entdecken, ist weitgehend verschwunden. Stattdessen sehen Nutzer immer wieder das Gleiche – sei es in Form von Tanztrends, Beauty-Hacks oder simplen Challenges.
Die „Baked Feta Pasta“ oder ähnliche Food-Trends mögen in den USA oder international für Aufsehen gesorgt haben, aber in Deutschland sind solche Beispiele weit weniger relevant. Viel bekannter ist der „Planking“-Trend, der die Social-Media-Welt für eine kurze Zeit im Sturm eroberte, oder die viralen „Ice Bucket Challenges“, die vor Jahren die Runde machten. Aber auch diese Phänomene zeigen ein ähnliches Muster: ein plötzlicher, intensiver Hype, der nach kurzer Zeit wieder in der Bedeutungslosigkeit versinkt.

Ein weiteres Phänomen, das die Dynamik in sozialen Medien verdeutlicht, ist die so genannte „Influencer-Kultur“. Vor ein paar Jahren waren Influencer noch frische, aufregende Persönlichkeiten, die mit ihren persönlichen Erlebnissen und authentischen Inhalten die Nutzer fesselten. Doch mittlerweile sind viele Influencer mehr oder weniger zu Marken geworden. Ihre Inhalte sind oft gesponsert, gekünstelt und wirken zunehmend wie Werbung – die Authentizität, die sie einst auszeichnete, ist oft nicht mehr zu erkennen. Das führt dazu, dass immer mehr Nutzer das Vertrauen verlieren und sich von diesen Plattformen abwenden.
Neben dem inhaltlichen Einheitsbrei tritt eine neue Entwicklung hinzu: der Einsatz künstlicher Intelligenz im Content-Prozess. Immer mehr Inhalte werden nicht mehr erstellt, sondern generiert. Texter arbeiten mit Chatbots. Videos entstehen aus Templates. Stimmen werden synthetisiert, Gesichter animiert. Was früher der Handschrift des Einzelnen unterlag, wird heute automatisiert in Massen produziert.
Diese Entwicklung erhöht die Quantität, senkt aber den Wiedererkennungswert. Inhalte sind technisch perfekt, aber inhaltsleer. Die User erkennen es. Eine 2023 durchgeführte Umfrage von Statista ergab, dass 67 Prozent der 16- bis 25-Jährigen angaben, sich von Social-Media-Inhalten "nicht mehr emotional abgeholt" zu fühlen. Die Übersättigung ist kein Gefühl. Sie ist messbar.
Auch die Plattformbetreiber spüren es. Instagram verzeichnete laut interner Daten, die 2022 durchgesickert sind, einen Rückgang der Verweildauer bei jüngeren Zielgruppen. TikTok kämpft mit der Fragmentierung seiner eigenen Community: Während ältere Nutzer auf Trends setzen, versuchen jüngere sich durch bewusst unästhetische Inhalte – „Anti-Aesthetic“ – davon abzugrenzen. Die Plattform wird zum Austragungsort kultureller Gegenbewegungen, nicht mehr zur Heimat kollektiver Euphorie.
Gleichzeitig verändert sich das Verhältnis zu Werbung. TikTok und Instagram sind keine sozialen Plattformen mehr im klassischen Sinn. Sie sind Verkaufsräume. Jeder Clip kann ein Produkt sein. Jede Story eine Werbefläche. Die Grenzen zwischen Content und Commerce verschwimmen. Das Publikum weiß das. Es erkennt, wenn eine Empfehlung nicht authentisch ist. Und es reagiert. Nicht mit Kritik, sondern mit Abkehr. Aufmerksamkeit ist nicht endlos. Vertrauen auch nicht.
Was kommt danach? Die Geschichte der digitalen Medien zeigt: Auf jede Phase der Reizüberflutung folgt eine Rückbesinnung. Auf Foren folgte Facebook. Auf Facebook folgte Visualisierung. Auf TikTok wird etwas folgen, das wieder tiefer geht. Das wieder etwas erzählt. Plattformen wie Substack, Patreon oder sogar klassische Blogs erleben bereits eine stille Renaissance. Menschen zahlen wieder für Inhalte, wenn sie Substanz haben. Sie lesen wieder, wenn es etwas zu sagen gibt.
Die Zukunft liegt nicht im nächsten viralen Clip. Sie liegt in Kontext. In Stimme. In Haltung. Plattformen, die diese Prinzipien nicht unterstützen, verlieren ihre Relevanz. Der Markt reguliert sich selbst. Nicht durch Regeln, sondern durch Desinteresse.
"TikTok. Insta. Tot." ist keine Überschrift. Das ist ein Trendbericht. Eine nüchterne Feststellung:
Wenn Neugier stirbt, stirbt die Plattform. Und noch nie starb die Neugier so schnell wie heute, getriggert von zu viel, zu oft.