Der Fall Greifswald – Wenn Lehrkräfte Rassismus abtun
Eine Klassenfahrt, die eigentlich ein Highlight im Schuljahr sein sollte, wurde für eine sechste Klasse aus Berlin-Kreuzberg zur Tortur. In der Jugendunterkunft im vorpommerschen Greifswald wurden die Schüler*innen laut Angaben von Eltern und Beteiligten über mehrere Tage hinweg rassistisch beleidigt.
Vor allem eine Schülergruppe aus Brandenburg fiel mit massiven rassistischen Äußerungen auf, inklusive eines Hitlergrußes. Besonders die männlichen Grundschüler aus Berlin, die zu etwa 80 Prozent einen Migrationshintergrund haben, wurden verbal angegriffen, bedroht und diskriminiert.
Eltern berichten, dass die Berliner Lehrerinnen zwar versuchten, das Problem bei den Lehrkräften der Brandenburger Klassen anzusprechen, dabei aber unterschiedlich auf Verständnis stießen. Während die Lehrerinnen der Schule aus Strausberg einsichtig reagierten, wurden die Kolleginnen der älteren Brandenburger Schülerinnen aus dem Süden des Bundeslandes laut Berichten abgewimmelt.
Die Folge: Statt schnell Hilfe zu erhalten, mussten die Kinder fünf Tage lang beleidigende und aggressiv rassistische Attacken ertragen. Die Schule und Elternschaft wurden erst nach der Klassenfahrt informiert – ein später Zeitpunkt, der die Situation für die betroffenen Kinder noch schwieriger machte.
Die Berliner Senatsbildungsverwaltung hält engen Kontakt zur Schulleitung und hat Unterstützungsangebote unterbreitet. Die Schule soll zudem die Antidiskriminierungsbeauftragte der Senatsverwaltung kontaktieren, um weitere Hilfe zu organisieren.
Wenn Aufsichtspflicht zur Farce wird
Das Thema Aufsichtspflicht gewinnt in diesem Fall eine bedrückende Dimension. Lehrkräfte sind nicht nur für den Unterricht verantwortlich, sondern auch für den Schutz der Schüler*innen vor Mobbing und Diskriminierung.
Und genau hier scheint es gefehlt zu haben: Obwohl die rassistischen Beleidigungen und sogar ein Hitlergruß wiederholt dokumentiert wurden, reagierten einige Lehrkräfte offenbar kaum oder gar nicht. Ein Wegschauen und Bagatellisieren von solchen Übergriffen hinterlässt bei betroffenen Kindern nicht nur Narben, sondern sendet auch die gefährliche Botschaft: Hier zählt eure Erfahrung nicht.
Das Problem reicht tiefer als einzelne Fälle. Rassismus fängt nicht erst mit Gewalt an, sondern wächst in Momenten, in denen Ignoranz und Schweigen dominieren.
Eltern berichten, dass nicht alle Lehrkräfte die Vorfälle ernst nahmen. Einige wimmelten die Beschwerden ab, andere zeigten Verständnis – eine uneinheitliche Reaktion, die zusätzlich verunsicherte und die betroffenen Schüler*innen allein ließ.
Die Jugendherberge selbst erklärt, dass das Haus etwa 300 Gäste fasst und die Betreuung vor allem auf Unterkunft und Verpflegung ausgelegt ist, nicht auf ständige Aufsicht. Dort seien „immer mal Reibereien“, aber rassistisches Verhalten werde nicht geduldet. Allerdings sei der Geschäftsführer erst nachträglich über die Vorfälle informiert worden, was die Reaktionsmöglichkeiten erschwerte.
Rassismus in Brandenburg – Ein Muster wiederholt sich
Nicht nur in Greifswald kam es zu solchen Vorfällen. Bereits 2023 sorgte ein ähnlicher Fall für Schlagzeilen: Schülerinnen und Schüler einer zehnten Klasse aus Berlin, überwiegend mit Migrationshintergrund, wollten in einer Ferienanlage am Heidesee in Brandenburg ein Mathe-Camp durchführen.
Bestes türkisches Catering
In der Nacht wurden sie von anderen Gästen rassistisch beleidigt, woraufhin die Gruppe die Reise vorzeitig abbrechen musste. Die Polizei nahm die Anzeigen auf, doch die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren später ein – weil keine Täter zweifelsfrei identifiziert werden konnten und nur wenige Zeugen vorhanden waren.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußerte sich damals deutlich gegen solche Übergriffe und machte klar, dass Rassismus in keiner Form toleriert werden dürfe.
Dieser zweite Vorfall zeigt, dass die Probleme kein einmaliges Ereignis sind, sondern Teil einer größeren gesellschaftlichen Herausforderung in Berlin und Brandenburg. Rechtsextreme Tendenzen und rassistische Übergriffe nehmen sichtbar zu.
Pädagogik zwischen Anspruch und Realität
In der Theorie hat sich das Bildungssystem längst weiterentwickelt. Schulen sollen sichere Orte sein, in denen Vielfalt als Stärke gilt und Diskriminierung keinen Platz hat. Pädagogische Konzepte, Fortbildungen und Anti-Rassismus-Programme sind offiziell etabliert.
Doch in der Praxis sieht das oft anders aus. Wenn Lehrkräfte die Herkunft und Identität der Schüler*innen nicht ernst nehmen oder gar Vorfälle von Rassismus herunterspielen, bleiben die Betroffenen oft allein zurück.
Schulen brauchen mehr als einzelne Aktionen und Lippenbekenntnisse. Eine verbindliche Haltung, klare Konzepte und ständige Fortbildung sind unverzichtbar, um strukturellen Rassismus aufzubrechen.
Betroffene Schüler*innen müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Beschwerden gehört werden – ohne Angst vor Konsequenzen oder Abwertung.
Politische Verantwortung und gesellschaftlicher Auftrag
Rassismus an Schulen ist kein isoliertes Problem. Er spiegelt gesellschaftliche Spannungen und macht klar, dass mehr politische Entschlossenheit nötig ist.
Bildungspolitik in Berlin und Brandenburg steht in der Pflicht, diese Übergriffe konsequent aufzuklären und Maßnahmen zu ergreifen. Nur so können Schulen sichere Räume werden, in denen alle Kinder und Jugendlichen unbeschwert lernen und sich entwickeln können.
Die Folgen des Wegschauens sind sichtbar: Betroffene Schüler*innen verlieren Vertrauen, die Gemeinschaft leidet, und der Nährboden für rechte Ideologien wächst weiter.
Klar ist: Veränderungen erfordern Anstrengungen auf allen Ebenen – von der Schulleitung bis zur Politik, von den Lehrkräften bis zur Gesellschaft.
Wenn Lehrkräfte Rassismus nicht ernst nehmen, bleibt der Fall Greifswald kein Einzelfall.
Folge uns