Durst wird teurer als Rausch – Willkommen auf der Wiesn 2025
Sobald der Anstich erfolgt, gibt es kein Halten mehr. Auf der Theresienwiese wogt die Menge, die Bierbänke füllen sich im Minutentakt, Bedienungen rennen im Laufschritt zwischen Küche und Tisch. Die ersten Maßkrüge werden hochgerissen, das „Prosit der Gemütlichkeit“ donnert durch die Zelte, es riecht nach Hendl, gebrannten Mandeln und nassem Leder. Alles wie immer, sollte man meinen. Doch spätestens beim Blick auf die Getränkekarte wird klar: Das Oktoberfest 2025 schreibt seine ganz eigene Geschichte. Nicht, weil das Bier wieder ein paar Cent teurer geworden ist – das überrascht niemanden mehr. Sondern weil Wasser und Limonade inzwischen Preise erreicht haben, die selbst hartgesottene Wiesn-Besucher die Stirn runzeln lassen.
Bier bleibt das Maß aller Dinge
Die Maß Bier ist das Herzstück der Wiesn und ohne sie wäre das Fest nicht denkbar. In diesem Jahr bewegt sich der Preis zwischen 14,50 und 15,80 Euro, im Schnitt 15,25. Damit liegt die Steigerung im üblichen Rahmen der vergangenen Jahre. Eine Münchner Institution: Wer aufs Oktoberfest geht, weiß, dass eine Maß kostet, was sie kostet. Die öffentliche Aufregung über den Bierpreis gehört zum Ritual, doch im Bierzelt selbst zucken die meisten nur mit den Schultern. Man zahlt, weil man zahlt. Der Krug ist nicht bloß Getränk, sondern Eintrittskarte in das Festgefühl – mit Musik, Lachen, Schunkeln und dem wohligen Rausch, der spätestens nach der zweiten Maß einsetzt.
Das Bier hat einen symbolischen Status. Es ist ein Teil der Münchner Identität, ein Stück Tradition, das man nicht rational kalkuliert. Kein Tourist fliegt aus Japan, Australien oder Kanada nach München, um am Ende über 50 Cent Preissteigerung zu diskutieren. Man will die Maß auf dem Tisch haben, will das Foto mit dem Glas, das so groß ist wie ein Kopf. Genau darin liegt der Unterschied zum Wasser – während das Bier teuer, aber akzeptiert ist, stößt das Preisschild bei den alkoholfreien Getränken an eine Grenze des Verständnisses.
Wasser als Luxusgut
Wer Durst hat und auf Alkohol verzichten möchte, muss 2025 tief in die Tasche greifen. Durchschnittlich 10,95 Euro kostet der Liter Tafelwasser, in manchen Zelten deutlich mehr. Spitzenreiter ist Kufflers Weinzelt, wo für eine Flasche Wasser 15,33 Euro fällig werden. Damit übertrifft das stille Nass den Bierpreis in mehreren Festzelten. Ausgerechnet das Getränk, das in München aus der Leitung sprudelt und für seine Reinheit gerühmt wird, wird auf der Wiesn zum Luxusgut.
Die soziale Absurdität zeigt sich im Alltag am Tisch: Familien mit Kindern zahlen für eine Runde Wasser mehr als für das Bier der Eltern. Studierende, die eigentlich sparen wollen, überlegen zweimal, ob sie wirklich eine Limo bestellen. Gäste, die bewusst auf Alkohol verzichten, werden mit Preisen konfrontiert, die jeden guten Vorsatz auf eine harte Probe stellen. Ein Liter Limonade schlägt mit durchschnittlich 12,11 Euro zu Buche, Spezi kratzt an der 13-Euro-Marke. In manchen Zelten ist die Zitronenlimo teurer als ein Bier – und das nicht nur symbolisch, sondern auf dem Kassenbon schwarz auf weiß.
Absurdität auf der Getränkekarte
Noch grotesker wird es beim alkoholfreien Bier. Viele Wirte setzen es schlicht zum gleichen Preis an wie das Helle mit Umdrehungen – also rund 15 Euro pro Maß. In Kufflers Weinzelt klettert der Preis sogar auf 17,80 Euro. Damit ist das alkoholfreie Bier das teuerste Getränk auf der gesamten Theresienwiese. Ein Widerspruch in sich, der die Logik der Preispolitik endgültig entlarvt. Wer keinen Alkohol trinkt, wird bestraft – mit dem höchsten Preis.
Diese Verschiebung führt dazu, dass sich die Diskussion über die Wiesnpreise verändert. Während man über teures Bier traditionell witzelt und den Preis als Teil der Folklore hinnimmt, empfinden viele die Wasser- und Limonadenpreise als dreist. Es geht nicht mehr um ein Luxusgut oder ein Festsymbol, sondern um die Grundversorgung. Durstlöschen wird zum Geschäftsmodell, und zwar zu einem, das die Gemütlichkeit am Tisch merklich trüben kann.
Bestes türkisches Catering
Hinter den Kulissen: Kosten, Kalkulationen, Kontroversen
Die Stadt München kontrolliert die Preisgestaltung jedes Jahr. Wirte müssen ihre Kalkulationen offenlegen, und die Behörden prüfen, ob die Preise im Vergleich mit Münchner Großgastronomie „angemessen“ sind. Offiziell erfüllt die Wiesn diese Kriterien. Inoffiziell weiß man: Auf dem Oktoberfest herrschen eigene Regeln.
Ein Zelt aufbauen, betreiben und wieder abbauen ist eine logistische Mammutaufgabe. Hunderte Mitarbeiter, teure Musiker, Sicherheitsdienste, Strom, Wasser, Genehmigungen – die Liste der Kostenpunkte ist lang. Die Wirte argumentieren, dass sich all diese Faktoren in den Getränkepreisen widerspiegeln. Dazu kommen steigende Energie- und Lebensmittelpreise, höhere Löhne, ein enormer Aufwand in Hygiene und Sicherheit.
Kritiker halten dagegen, dass diese Argumente beim Wasser nur begrenzt greifen. Selbst mit Service und Logistik rechtfertigt nichts einen Literpreis von 15 Euro für stilles Wasser. Hier spielt das Prinzip der Monopolstellung hinein: Wer im Zelt sitzt, darf nichts mitbringen, hat also keine Wahl. Wer durstig ist, zahlt – Punkt. Ein perfektes Beispiel dafür, wie Angebot und Nachfrage in einem begrenzten Raum zu einer Preisspirale führen können, die jedes Maß sprengt.
Die hohen Preise verändern das Publikum
Während früher ganze Familien sich einen Wiesn-Besuch leisteten, überlegen sich viele heute, ob sie mit Kindern überhaupt noch ins Zelt gehen sollen. Für vier Personen, die Wasser und Limo trinken, geht schnell ein Betrag über die Theke, der an ein gutes Restaurant erinnert – und das, bevor überhaupt Essen bestellt wird.
Gleichzeitig spalten die Preise die Gesellschaft im Zelt. Neben dem Banker, der mit Firmenkreditkarte bezahlt, sitzt die Auszubildende, die nach zwei Getränken ihr Budget erschöpft hat. Das Oktoberfest will Volksfest sein, offen für alle – doch in der Realität wird es zunehmend zum Luxus-Event.
Strategien gegen den Preisschock
Ein kleines Schlupfloch bietet die Stadt: Seit einigen Jahren gibt es auf der Theresienwiese Trinkwasserbrunnen. Wer eine leere Flasche mitbringt, kann sich kostenlos bedienen. Viele Münchner kennen diesen Trick und nutzen ihn, um zwischen Bier und Hendl wenigstens beim Wasser zu sparen. Doch im Zelt selbst bleibt man den Preisen ausgeliefert. Wer sitzt, zahlt – und das wissen die Wirte genau.
Manche Gäste umgehen das Problem, indem sie länger draußen bleiben, sich an Buden versorgen oder gleich ganz auf Bier umsteigen. Ironischerweise wird die Maß zum „günstigeren“ Getränk, wenn man den Literpreis von Wasser und Limo danebenhält. Ein Effekt, der das Fest ungewollt in eine klare Richtung schiebt: Wer trinkt, fährt besser.
Zwischen Tradition und Kommerz
Am Ende bleibt das Oktoberfest ein widersprüchliches Schauspiel. Einerseits ist es das größte Volksfest der Welt, mit einer einzigartigen Mischung aus Tradition, Musik, Essen und internationalem Flair. Andererseits wird es Jahr für Jahr teurer und damit exklusiver. Die Diskussion über Wasser, Bier und Limo ist mehr als ein Preisvergleich – sie ist ein Symbol für die Frage, wem die Wiesn eigentlich noch gehört.
Die Zelte sind voll, die Krüge klirren, die Musik spielt, und die Menschen kommen trotzdem. Vielleicht ist genau das der Punkt: Die Preise sorgen für Empörung, doch sie halten niemanden fern. Die Wutrede über den Bierpreis gehört so sehr zum Fest wie die Brezn und das Dirndl. Und vielleicht gilt das ab 2025 auch für den Satz: „Kannst du glauben, dass das Wasser teurer war als das Bier?“
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