Türkei: Ein wichtiger Agrarpartner – mit Problemen

Türkisches Obst und Gemüse: Zwischen Mittelmeer-Flair und Pestizid-Belastung
Es ist ein sonniger Vormittag im Spätsommer, als ich vor dem Obstregal im Supermarkt stehe und mich von einem besonders prallen Granatapfel anlachen lasse. Glatt, glänzend, schwer in der Hand – fast wie ein Beauty-Influencer unter den Früchten. Er kommt aus der Türkei und liegt da, umgeben von Tomaten, Paprika und Zitrusfrüchten. Obwohl ich eigentlich auf Bio achte (okay, fast immer), landet der Granatapfel in meinem Korb. Zu Hause, beim Aufschneiden, riecht er frisch – und doch liegt da dieser leichte chemische Beigeschmack in der Luft. Oder bilde ich mir das ein?
Ein schneller Blick ins Netz bestätigt meinen Verdacht: Die Türkei führt die Liste der Pestizid-Warnungen im EU-Schnellwarnsystem RASFF an – mit über 130 Fällen im Jahr 2023. Besonders betroffen sind Paprika, Zitrusfrüchte und Granatäpfel. Was genau landet also auf unseren Tellern, wenn wir uns das Mittelmeer-Feeling ins Gemüsefach holen?
Belastungen, die das Vertrauen erschüttern
Die Türkei ist ein Agrarriese. Vor allem im Winter füllen türkische Tomaten, Paprika, Zitronen und Auberginen die Lücken in unseren Supermarktregalen. Antalya gilt als Zentrum des Gemüseanbaus: Über 200.000 Gewächshäuser liefern das ganze Jahr über Ware in alle Himmelsrichtungen – auch in die EU. Doch das Vertrauen in die Unbedenklichkeit dieser Produkte gerät ins Wanken. Greenpeace findet in Tomaten, Gurken und Paprika Rückstände von 56 verschiedenen Pestiziden – darunter auch solche, die in der EU längst verboten sind. Manche Traubenproben zeigen sogar über 20 unterschiedliche Substanzen.
Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass das Gemüse akut giftig ist, aber die langfristigen Risiken sind nicht zu unterschätzen, vor allem wenn mehrere Rückstände zusammentreffen oder Grenzwerte überschritten werden. Ein weitverbreiteter Irrglaube ist, man könne Pestizide einfach abwaschen. Doch viele dieser Mittel sind systemisch, dringen in die Pflanze ein und lagern sich im Inneren ab. Selbst gründliches Waschen entfernt sie nicht vollständig.
Wirtschaftlicher Druck und fehlende Kontrolle
Warum ist die Belastung so hoch? Die Gründe sind vielschichtig. Die türkische Landwirtschaft steht unter enormem wirtschaftlichen Druck. Hohe Erträge, makelloses Aussehen und möglichst wenig Ausschuss erhöhen die Chancen auf lukrative Exporte. Pestizide sind da ein beliebtes Mittel. Viele der gefährlichsten Substanzen sind in der Türkei zwar offiziell verboten, doch die Durchsetzung hapert gewaltig. Kontrollen sind schwach, Rückverfolgbarkeit oft mangelhaft, und illegal eingeführte Mittel werden weiter verwendet.

Am 2. April 2025 rufen oppositionelle Gruppen zum Boykott gegen Erdogan und regierungsnahe Gastronomie in der Türkei auf. Dieser Protest steht symbolisch für die wachsende Kritik an Korruption und mangelhafter Kontrolle – Themen, die auch die Qualität von türkischem Obst und Gemüse beeinflussen.
Hier zeigt sich ein strukturelles Problem: Es sind nicht die Bauern allein, die das Risiko verursachen, sondern ein politisches System, das Fehlentwicklungen begünstigt. Seit über zwanzig Jahren regiert die AKP unter Präsident Erdoğan, die enge Verflechtungen zwischen Politik, Wirtschaft und staatlichen Institutionen geschaffen hat. Die Landwirtschaft wird als wichtiger Exportsektor gefördert – oft ohne ausreichenden Verbraucherschutz oder nachhaltige Umweltstandards. Korruption und fehlende Transparenz behindern wirksame Kontrollen. Kontrollbehörden stehen unter Druck, Fehlverhalten wird oft übersehen oder vertuscht. Das Ergebnis ist eine Branche, die zwischen hohen Erwartungen und laxen Regeln pendelt.
Was bedeutet das für Verbraucher*innen?
Die EU kontrolliert importierte Lebensmittel mit einem engen System aus Stichproben und Grenzwertüberwachung. Trotzdem gelangen belastete Produkte regelmäßig in unsere Supermärkte. Die Türkei ist dabei nur ein Beispiel; ähnliche Probleme gibt es auch bei anderen Importländern. Zudem erschweren Handelsabkommen und diplomatische Rücksichtnahmen Sanktionen und verschärfen die Kontrollproblematik.
Verbraucher*innen stehen vor einer schwierigen Entscheidung: Komplett auf türkisches Obst und Gemüse zu verzichten, ist weder praktikabel noch fair gegenüber den vielen sauberen Produzenten. Doch wer Risiken minimieren will, sollte Bio-Produkte bevorzugen, bei sensiblen Sorten wie Paprika und Trauben besonders genau hinschauen, regional und saisonal einkaufen und Herkunftsetiketten beachten.
Die Qualität unserer Lebensmittel hängt nicht nur vom Aussehen ab, sondern auch von dem, was wir nicht sehen: Pestizidrückstände, Kontrolllücken und politische Realitäten, die den Anbau beeinflussen. Es ist an der Zeit, nicht nur auf den Teller zu schauen, sondern auch auf die Rahmenbedingungen, die hinter der glänzenden Fassade stecken.
Quellen:
Europäische Kommission – RASFF (Rapid Alert System for Food and Feed), Jahresbericht 2023
Greenpeace Türkei – Pestizid-Analyse in Obst und Gemüse, Bericht „Pestisitler ve Çocuklar“, 2023
Duvar English – „Turkey leads EU importers in pesticide residues“, 2023
Fruchtportal.de – „153 Warnmeldungen für türkisches Obst und Gemüse in der EU“, Stand: 2024
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