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Zwischen Schlagzeilen, Gewalt und Wahrheit – Deutschlands Verantwortung im Nahostkonflikt

Wenn Medien versagen, übernehmen Künstler:innen und Zeug:innen Verantwortung für die Darstellung der Realität. Hind Rajab ist ein Beispiel: Ihr Dokumentarfilm zeigt den Alltag von Jugendlichen im Gazastreifen, die unter Bombenangriffen, Blockaden und Armut leiden.

Die einseitige Berichterstattung

Die Eskalation im Nahen Osten prägt seit Monaten die internationalen Nachrichten. Bilder aus Gaza und Israel dominieren die Schlagzeilen – Bomben, Zerstörung, fliehende Familien – und doch stellt sich in Deutschland zunehmend die Frage: Wie ausgewogen ist die Berichterstattung wirklich? Während die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen täglich neue Dimensionen annimmt, vermitteln viele deutsche Leitmedien ein israelzentriertes Narrativ. Kritiker:innen weisen darauf hin, dass die Opferrolle Palästinas marginalisiert wird, und dass die historischen Zusammenhänge, die zu dieser Eskalation geführt haben, kaum berücksichtigt werden.

Wer glaubt und meint, der Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 sei der Auslöser des Genozids, hat 80 Jahre Geschichte verpennt: Die systematische Unterdrückung, Vertreibung und Entrechtung der palästinensischen Bevölkerung ist kein neues Phänomen, sondern ein anhaltender Zyklus kolonialer, militärischer und politischer Gewalt. Historiker:innen wie Rashid Khalidi und Ilan Pappé haben wiederholt betont, dass die internationale Gemeinschaft diese Dynamiken kennt und dennoch seit Jahrzehnten nur unzureichend reagiert.

Pressefreiheit unter Druck

Die Arbeit von Journalist:innen in den besetzten Gebieten ist extrem gefährlich. Übergriffe auf Medienschaffende nehmen zu: Im Jahr 2024 dokumentierte Reporter ohne Grenzen doppelt so viele Angriffe auf Journalist:innen im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt wie im Vorjahr. Deutsche Korrespondent:innen berichten über Schikanen, Einschüchterungen und Angriffe, selbst durch Sicherheitskräfte. Diese Bedrohungslage behindert den freien Zugang zu Informationen aus Gaza.

Die öffentlich-rechtlichen Sender geraten zunehmend in die Kritik, weil sie palästinensische Stimmen nur eingeschränkt abbilden. In einer Analyse von 470 Tagesschau-Ausgaben zwischen Oktober 2023 und Januar 2025 dominieren israelische Perspektiven. Palästinensische Expert:innen, Aktivist:innen oder Betroffene werden kaum zitiert, wodurch ein verzerrtes Bild entsteht. Fast die Hälfte der Zuschauer:innen empfindet die Berichterstattung als unausgewogen. Medienformate wie ZAPP kritisieren, dass die öffentlich-rechtlichen Sender ihrer journalistischen Verantwortung nicht gerecht werden.

Politische Dimensionen und historische Verantwortung

Deutschland trägt eine besondere Verantwortung aufgrund seiner Geschichte. Diese Verantwortung darf jedoch nicht dazu führen, universelle Menschenrechte für Palästinenser:innen zu relativieren. Indem Politiker:innen wie Friedrich Merz über Bürgergeldempfänger herziehen und gleichzeitig politische Nähe zu Israel und rechten Parteien suchen, droht Deutschland, eine lächerliche Rolle einzunehmen. Statt ein aktiver Vermittler für Frieden zu sein, wirkt das Land wie ein Zuschauer, der Opportunismus über Gerechtigkeit stellt.

Historiker:innen erinnern daran, dass Deutschland aufgrund der Shoah eine doppelte Verantwortung hat: Einerseits Antisemitismus konsequent zu bekämpfen, andererseits die Rechte anderer Bevölkerungen, insbesondere die Palästinenser:innen, nicht zu unterdrücken oder zu relativieren. Das historische Versagen darf sich nicht wiederholen.

Polizeigewalt gegen palästinensische Demonstrant:innen in Deutschland

Parallel zu einer einseitigen Medienberichterstattung beobachten Menschenrechtsorganisationen in Deutschland eine dramatische Eskalation der Polizeigewalt gegen palästinensische Demonstrant:innen. Bei Demonstrationen in Berlin, Frankfurt und Köln kam es zu massiven Übergriffen. Schlagstöcke, Pfefferspray, Festnahmen und teilweise gezielte Provokationen gehören mittlerweile zum Standard.

Viele Polizist:innen handeln aus Überlastung, unzureichender Ausbildung im Umgang mit internationalen Konflikten und Anweisungen von Vorgesetzten, die Konflikte mit maximaler Härte unterbinden wollen. Das Ergebnis: Unschuldige Demonstrierende werden verletzt, ihre Stimmen werden in den Medien kaum abgebildet, während die Berichterstattung sich auf „Sicherheitsvorfälle“ konzentriert. Aktivist:innen bezeichnen die Gewalt als eine der brutalsten weltweit gegen palästinensische Demonstranten.

Medienkritik: Sprache, Schlagzeilen, Verzerrung

Die mediale Darstellung in Deutschland ist problematisch: Begriffe wie „Krieg“ werden verwendet, um Genozid oder systematische Unterdrückung zu relativieren. Deutsche Leitmedien übernehmen oft die Rhetorik israelischer Regierungssprecher nahezu unverändert. Die Folge: Täter und Opferrolle verschwimmen, Ursache und Wirkung werden verschleiert, die Bevölkerung wird in ihrer Wahrnehmung manipuliert.

Beispiel: Der Begriff „Konflikt“ verschleiert die Dimension der Gewalt. Artikel der „Süddeutschen Zeitung“ und des „Kurier“ beschreiben Angriffe als „Reaktionen“ auf „Terror“, während der systematische Charakter der Besatzung kaum thematisiert wird. Junge Menschen, die ihre Informationen über TikTok, Instagram oder unabhängige Medienkanäle beziehen, bemerken die Diskrepanz und verlieren Vertrauen in Mainstreammedien.

Künstlerische Stimmen als Gegengewicht

Wenn Medien versagen, übernehmen Künstler:innen und Zeug:innen Verantwortung für die Darstellung der Realität. Hind Rajab ist ein Beispiel: Ihr Dokumentarfilm zeigt den Alltag von Jugendlichen im Gazastreifen, die unter Bombenangriffen, Blockaden und Armut leiden. Diese Perspektive macht sichtbar, was Schlagzeilen verbergen: konkrete menschliche Schicksale, traumatisierte Kinder und eine Generation, deren Zukunftsystematisch zerstört wird.

Künstlerische Arbeiten zeigen, dass Wahrheit nicht nur aus Zahlen und Meldungen besteht, sondern aus Erleben, Erzählungen und persönlichen Geschichten. Hind Rajab wird zu einer Stimme der Betroffenen – eine Stimme, die in deutschen Medien oft fehlt.

Historische, politische und gesellschaftliche Verantwortung

Deutschland muss sich der Verantwortung bewusst sein: Wer heute wegschaut oder sich opportunistisch verhält, wiederholt die Fehler der Vergangenheit. Jede:r Politiker:in, Journalist:in und Bürger:in trägt Verantwortung, Wahrheit sichtbar zu machen. Solidarität mit Israel darf nicht bedeuten, dass die Rechte der Palästinenser:innen missachtet werden. Die historische Lektion aus der Shoah zeigt: Neutralität ist keine moralische Haltung, wenn Millionen Menschen leiden.

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Die Eskalation im Nahen Osten und die Repression in Deutschland gegen palästinensische Demonstrant:innen stellen eine komplexe Herausforderung dar, die eine differenzierte, verantwortungsvolle Berichterstattung erfordert. Die mediale, politische und gesellschaftliche Aufmerksamkeit darf nicht auf israelische Narrative reduziert werden. Nur durch die Anerkennung der vollen Dimension des Genozids, die Einbindung palästinensischer Stimmen, die kritische Reflexion der Polizeiaktionen und die Förderung künstlerischer Dokumentation kann Deutschland seiner Verantwortung gerecht werden.


Quellenangaben und Bildnachweise

  • Deutsche öffentlich-rechtliche Medien: ARD, ZDF, Tagesschau, ZAPP – Berichterstattung 2023–2025

  • Reuters: Das palästinensische Mädchen Hind Rajab posiert für ein Foto, in diesem undatierten Bild, das am 10. Februar 2024 von der Palestinian Red Crescent Society / Familien-Handout über Reuters bereitgestellt wurde.

  • Reporter ohne Grenzen: Dokumentation Übergriffe auf Journalist:innen im Nahostkonflikt 2024

  • Berichte zu deutschen Polizeieinsätzen gegen palästinensische Demonstrationen (2023–2025), u. a. taz, Spiegel, FAZ

  • Analysen und Studien zur medialen Schlagseite deutscher Leitmedien im Nahostkonflikt (2023–2025)

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